Jean-Marie Musy






Jean-Marie Musy


Jean-Marie Musy (* 10. April 1876 in Albeuve; † 19. April 1952 in Freiburg) war ein Schweizer Politiker (CVP). Als Bundesrat war er Finanzminister und bekleidete zweimal das Amt des Bundespräsidenten.




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Ausbildung und frühe Laufbahn


  • 2 Bundespolitik


  • 3 Antidemokratische Umtriebe nach dem Rücktritt aus dem Bundesrat


  • 4 Wahlergebnisse in der Bundesversammlung


  • 5 Siehe auch


  • 6 Literatur


  • 7 Weblinks


  • 8 Einzelnachweise





Ausbildung und frühe Laufbahn |


Er war katholisch und Bürger von Grandvillard und Albeuve. 1920 wurde er Ehrenbürger der Stadt Freiburg. Seine Eltern waren Jules Musy, Landwirt und Hotelier, und Louisa geb. Thédy, Tochter eines Kaufmanns. Sein Grossvater Pierre Musy war Staatsrat (1846–1848) während der Regeneration, anschliessend Oberamtmann des Greyerzbezirks und Grossrat (1856–1888) gewesen. Jean-Marie Musy heiratete 1906 Juliette de Meyer, Tochter des Jules, Offizier im Dienst des Papstes und Kommandant der Kantonsgendarmerie.


Jean-Marie Musy besuchte das Kollegium St. Michael und das Kollegium in Saint-Maurice, wo er die Matura ablegte. Seine Rechtsstudien an der Universität Freiburg schloss er nach dem Lizentiat (1901) mit dem Doktorat (1904) ab. Seine juristischen Kenntnisse und sein Wissen in Wirtschafts- und Finanzdingen vertiefte er durch Semester in München, Leipzig, Berlin und Wien. Dank der direkten Intervention von Georges Python wurde er 1901 zum Substitut des Staatsanwalts ernannt, ein Amt, das er bis 1905 ausübte. Gleichzeitig bereitete er sein Anwaltspatent vor, das er 1906 erwarb. Er eröffnete eine Kanzlei in Bulle (1906–1911), die er bis zu seiner Ernennung zum Direktor des Crédit gruyérien (1911–1912) führte.


Am 3. Dezember 1911 wurde Musy, inzwischen auch Präsident des Cercle conservateur in Bulle, in den Grossen Rat und am 29. Dezember dank Pythons Unterstützung in den Staatsrat gewählt. Er trat die Nachfolge von Alphonse Théraulaz an der Spitze der Finanzdirektion (1912–1919) an, um die Kantonsfinanzen zu sanieren und die Kreditwürdigkeit der Staatsbank wiederherzustellen.


Diese Aufgabe konfrontierte ihn mit Georges Pythons finanziellen Winkelzügen und führte zu einer Opposition zwischen den beiden starken Männern der Exekutive. Durch die Enthüllungen und seine Krankheit geschwächt, trat Python hinter Musy zurück, der in der Regierung rasch nach vorne drängte. Als sein Freund Emile Savoy (1913) sowie Marcel Vonderweid und Joseph Chuard (1914) in den Staatsrat nachrückten, gewann das Musy-Lager die Mehrheit. 1912 in den Verwaltungsrat der Staatsbank gewählt, prangerte Musy die schweren Verfehlungen in der Geschäftsführung und Pythons Praktiken an, ohne jedoch den «Staatschef» direkt anzugreifen, um die Regierung nicht unnötig zu schwächen.


Die alarmierende Finanzlage wurde durch den Krieg weiter verschlechtert. Mit verschiedenen Massnahmen suchte Musy den Staatshaushalt auszugleichen. Er war an der Erarbeitung des Gesetzes über die Freiburgischen Elektrizitätswerke (FEW) (1915) beteiligt, das dem Staat dringend benötigte Finanzen verschaffen sollte. Im folgenden Jahr reorganisierte er die Tilgungskasse der Staatsschuld (1916). Durch die Revision bestimmter Steuerverfügungen (1916) und ein neues Steuergesetz (1919) vermehrte er die Staatseinnahmen. Diese Einkünfte wurden 1919 durch eine Erhöhung der Registrierungsgebühr und des Salzpreises ergänzt. Um die Auswirkungen des Krieges auf die Preise zu dämpfen, hob Musy die Löhne der Staatsbeamten und Staatsangestellten an (1919). Seine Bemühungen führten schliesslich zum Erfolg der 1919 lancierten 12-Millionen-Anleihe, die mit 20 Millionen überzeichnet wurde, ein Beweis, dass die Kreditwürdigkeit des Kantons wiederhergestellt war. 1915 war Musy Staatsratspräsident.



Bundespolitik |


Nach den Parlamentswahlen 1914 gehörte Musy bis 1919 dem Nationalrat an. Dort fiel er durch seinen Föderalismus, seinen Antisozialismus und seine Finanzkenntnisse auf (Verwaltungsrat der Schweizerischen Nationalbank ab 1913 und der Rentenanstalt ab 1917). Seine Brandrede vom 10. Dezember 1918 vor dem Nationalrat, in der er den Generalstreik verurteilte, ihn fälschlicherweise auf ausländische Agitatoren zurückführte und eine starke Regierung forderte, ist ein Meilenstein seiner politischen Laufbahn. Am 11. Dezember 1919 wurde er im ersten Wahlgang in den Bundesrat gewählt, dem er 1920–1934 angehörte. Von seinem Parteikollegen Giuseppe Motta übernahm er am 1. Januar 1920 das Finanz- und Zolldepartement. Trotz der unbeständigen Wirtschaftslage gelang es ihm, den Bundeshaushalt auszugleichen, indem er die Sozialausgaben kürzte, indirekte Steuern förderte und die Zollgebühren anhob. 1927 führte er ein neues Beamtenstatut ein, das ein Streikverbot umfasste. Auf internationaler Ebene widersetzte er sich jeglicher Wiederaufnahme der Beziehungen zur UdSSR. 1926 und 1929 vertrat er bei Volksabstimmungen öffentlich eine Gegenposition zum Bundesrat, was gegen das Kollegialitätsprinzip verstiess. Sachliche und persönliche Differenzen zwischen ihm und seinem Bundesratskollegen Edmund Schulthess konnten nie ausgeräumt werden. 1925 und 1930 war er Bundespräsident. Als das Volk 1934 das Gesetz über den Schutz der öffentlichen Ordnung verwarf, drohte Musy mit dem Rücktritt, wenn er keine Garantien für sein politisches Programm erhalte, das auf eine autoritär-ständestaatliche Umgestaltung der Schweiz abzielte. Nach Ablauf seines Ultimatums trat er am 30. April 1934 aus dem Bundesrat zurück.



Antidemokratische Umtriebe nach dem Rücktritt aus dem Bundesrat |


Erneut in den Nationalrat gewählt (1935–1939), setzte er seinen Kampf gegen den Kommunismus fort. Er engagierte sich in nationalistischen und antikommunistischen Organisationen wie der Schweizerischen Aktion gegen den Kommunismus, über die er in Kontakt zu Reichsführer SS Heinrich Himmler und anderen führenden Nationalsozialisten trat. Dem niederländischen Journalisten A. den Doolaard (Het Hakenkruis over Europa. Amsterdam 1938, S. 66) zufolge, der die Schweiz 1938 bereiste, wurde Musy politisch und finanziell von führenden Schweizer Unternehmen (Nestlé, Brown, Boveri & Cie., Cailler) und der Schweizerischen Kreditanstalt unterstützt. Er war – zusammen mit seinem Mitarbeiter, dem nachmaligen SS-Obersturmbannführer Franz Riedweg – Initiant des Propagandafilms Die Rote Pest (1938), der teuersten Schweizer Filmproduktion der Zwischenkriegszeit. Der in einem Studio in Nazi-Deutschland hergestellte Streifen stellte den Landesstreik zusammen mit Unruhen und Konflikten in aller Welt als Teil einer jüdisch-bolschewistisch-intellektualistischen Verschwörung dar.[1][2][3][4]


War Musy während des Ersten Weltkriegs für die Entente eingetreten, so wandte er sich nun, angetrieben von seinem Antikommunismus und seiner Neigung zu autoritären Regimes, dem Dritten Reich zu. Nach seiner Abwahl aus dem Nationalrat zeigte er sich während des Zweiten Weltkriegs offen als Anhänger der Achsenmächte und ihrer durch Militärerfolge gestützten neuen Ordnung. Gezwungen durch die Kriegswende, gab er seiner Tätigkeit eine neue humanitäre Richtung. Von einer jüdischen Organisation um Unterstützung gebeten, nutzte er seine persönlichen Beziehungen zu Himmler, um die Befreiung jüdischer Deportierter aus dem KZ Theresienstadt zu erreichen. Diese Vereinbarung Himmler–Musy, die ihn und hochrangige Nazis reinwaschen sollte, ermöglichte die Einreise eines Konvois von 1200 Juden in die Schweiz. Nach Kriegsende gab Musy jedes politische Engagement auf. Er war weiterhin in verschiedenen Bankinstituten tätig und begab sich 1949 in den Irak, um die Finanzen des Königreichs zu sanieren. Isoliert starb er 1952 im Alter von 76 Jahren.


Pierre Musy, das älteste seiner sieben Kinder, wurde 1936 Olympiasieger im Viererbob und war von 1963 bis 1967 Chef des Schweizer Nachrichtendienstes.



Wahlergebnisse in der Bundesversammlung |



  • 1919: Wahl in den Bundesrat mit 144 Stimmen (absolutes Mehr: 105 Stimmen)

  • 1922: Wiederwahl als Bundesrat mit 143 Stimmen (absolutes Mehr: 84 Stimmen)

  • 1923: Wahl zum Vizepräsidenten des Bundesrates mit 145 Stimmen (absolutes Mehr: 90 Stimmen)

  • 1924: Wahl zum Bundespräsidenten mit 172 Stimmen (absolutes Mehr: 97 Stimmen)

  • 1925: Wiederwahl als Bundesrat mit 121 Stimmen (absolutes Mehr: 76 Stimmen)

  • 1928: Wiederwahl als Bundesrat mit 152 Stimmen (absolutes Mehr: 102 Stimmen)

  • 1929: Wahl zum Bundespräsidenten mit 143 Stimmen (absolutes Mehr: 89 Stimmen)

  • 1931: Wiederwahl als Bundesrat mit 128 Stimmen (absolutes Mehr: 103 Stimmen)



Siehe auch |



  • Franz Riedweg (1934/36 Mitarbeiter Musys, der zunächst Kontakte nach Deutschland aufbaute und später in der NSDAP Karriere machte)


Literatur |



  • Bruno Jaeggi et al.: Die Rote Pest: Antikommunismus in der Schweiz. In: Film – Kritisches Filmmagazin 1 (1975). S. 49–86.

  • Chantal Kaiser: Bundesrat Jean-Marie Musy, 1919–1934. Universitätsverlag, Freiburg (Schweiz) 1999, ISBN 3-7278-1202-8.


  • Manfred Flügge: Rettung ohne Retter, oder: Ein Zug aus Theresienstadt. dtv, München, ISBN 342324416X.


  • Georges Andrey, John Clerc, Jean-Pierre Dorand et Nicolas Gex: Der Freiburger Staatsrat: 1848–2011. Geschichte, Organisation, Mitglieder. Editions La Sarine, Freiburg 2012, ISBN 978-2-88355-153-4. 



Weblinks |




  •  Commons: Jean-Marie Musy – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien


  • Literatur von und über Jean-Marie Musy im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek

  • Daniel Sebastiani: Musy, Jean-Marie. In: Historisches Lexikon der Schweiz.

  • Geheimverhandlung zwischen H. Himmler und J.-M. Musy in Wildbad 1945 und der Judentransport aus dem Konzentrationslager Theresienstadt


  • Jean-Marie Musy in der Archivdatenbank des Schweizerischen Bundesarchivs


  • Musy, Jean Marie. In: Theresienstadt Lexikon.



Einzelnachweise |




  1. Marc Tribelhorn: Wie ein Altbundesrat bei den Nazis den übelsten Hetzfilm der Schweizer Geschichte produzierte In: Neue Zürcher Zeitung vom 9. September 2018


  2. La Peste Rouge auf Youtube


  3. Bruno Jaeggi et al.: Die Rote Pest: Antikommunismus in der Schweiz, in: Film – Kritisches Filmmagazin 1 (1975). S. 49–86.


  4. Einfache Anfrage Rechsteiner vom 22. Juni 1989 auf www.eda.admin.ch













Vorgänger Amt Nachfolger
Gustave Ador
Mitglied im Schweizer Bundesrat
1920–1934

Philipp Etter

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