Iván Fischer
Iván Fischer (* 20. Januar 1951 in Budapest) ist ein ungarischer Dirigent und Komponist.
Inhaltsverzeichnis
1 Herkunft und Ausbildung
2 Erste Erfolge
3 Budapest Festival Orchester
4 Konzerthausorchester Berlin
5 Andere Dirigate
6 Weitere musikalische Aktivitäten, humanitäres Engagement
7 Auszeichnungen
8 Diskografie
9 Weblinks
10 Einzelnachweise
Herkunft und Ausbildung |
Iván Fischer stammt – wie sein älterer Bruder Ádám – aus einer Musikerfamilie. Ihr Vater Sandor war Dirigent und Übersetzer.[1] Die Großeltern mütterlicherseits wurden Opfer des Holocaust in Ungarn.
Fischer nahm zunächst Klavier- und Geigenunterricht und wechselte dann zum Cello. Nach einem Kompositionsstudium in Budapest setzte er seine Ausbildung an der Wiener Musikakademie fort, wo er die Dirigierklasse von Hans Swarowsky belegte. Fischer besuchte außerdem regelmäßig Leonard Bernsteins Mahler-Konzerte mit den Wiener Philharmonikern.[2] Ein anderer wichtiger Einfluss war Nikolaus Harnoncourt, für den Fischer zwei Semester als Assistent am Salzburger Mozarteum arbeitete.
Erste Erfolge |
1976 gewann Fischer im Alter von 25 Jahren den Dirigentenwettbewerb der Rupert Foundation in London. Daraufhin wurde er von vielen englischen Orchestern eingeladen. U. a. war Fischer regelmäßig Gastdirigent des BBC Symphony Orchestra und des London Symphony Orchestra, das er 1982 auf einer Welttournee dirigierte. In den USA debütierte Fischer 1983 mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra.
Budapest Festival Orchester |
1983 gründete Fischer mit dem Pianisten Zoltán Kocsis das Budapest Festival Orchester (BFO). Anfangs operierte das Orchester auf Teilzeit-Basis und gab nur eine begrenzte Anzahl an Konzerten. Seit 1992 jedoch ist das BFO ein Vollzeit-Orchester, mit Konzertbetrieb an rund 30 Wochen pro Jahr. Das BFO und Fischer setzten unorthodoxe Ideen um: so gestalten einzelne Mitglieder des Orchesters Teile des Programms, die „Cocoa-Konzerte“ richten sich an kleine Kinder, die „Titok-Konzerte“ (Titok bedeutet „Geheimnis“ oder „Überraschung“) haben kein vorangekündigtes Programm. In den „Ein-Forint Konzerten“ spricht Fischer mit den Zuhörern, in anderen Konzerten sitzen Zuhörer zwischen den Orchestermusikern. Open-air Konzerte in Budapest ziehen manchmal Zehntausende Zuhörer an. Fischer gründete verschiedene Musikfestivals, darunter ein Sommerfestival für Barockmusik in Budapest und das Budapester Mahlerfest.
Fischer ist bis heute (Stand Januar 2019) künstlerischer Direktor des BFO.[3] Im Jahr 2008 wurde das Budapest Festival Orchester bei einer Umfrage des britischen Musikmagazins Gramophone auf Platz 9 der weltweit besten Orchester gewählt.[4]
Konzerthausorchester Berlin |
2011 wurde Fischer für die Saison 2012/13 zum Musikdirektor des Berliner Konzerthauses am Gendarmenmarkt und Chefdirigent des Konzerthausorchesters Berlin bestellt. Er verlegte den Wohnsitz seiner Familie nach Berlin, obwohl er weiterhin Leiter des Budapest Festival Orchesters blieb.[5] Fischer zementierte den Ruf des Konzerthausorchesters als eines der führenden Ensembles Berlins – neben den Berliner Philharmonikern und der Staatskapelle Berlin – und experimentierte mit ähnlichen Aufführungspraktiken wie in Budapest, z. B. Überraschungs- und Wunschkonzerten, Komponistenmarathons, und der Konzertreihe „Mittendrin“.
Ein Angebot des Konzerthausorchesters, Chefdirigent auf Lebenszeit zu werden, schlug Fischer 2016 aus. Stattdessen verkündete er seinen Abschied nach der Saison 2017/18, um mehr Zeit zum Komponieren zu gewinnen.[6] Das Orchester ernannte ihn daraufhin zum Ehrendirigenten, ein Titel, den es zuvor nur dem langjährigen Konzerthausdirektor Kurt Sanderling verliehen hatte. Fischers Nachfolger wurde Christoph Eschenbach, der ihm bereits 2010 beim National Symphony Orchestra in Washington, D.C. nachgefolgt war.
Andere Dirigate |
Als Gast dirigierte Fischer international bedeutsame Orchester wie z. B. die Münchner Philharmoniker, die New Yorker Philharmoniker, das Cleveland Orchestra, das Orchestre de Paris, das Israel Philharmonic Orchestra und das Orchestra of the Age of Enlightenment. Besonders bekannt sind seine Interpretationen von Bach, Mozart, Brahms, Mahler und Bartók. Mit dem Concertgebouw-Orchester Amsterdam und den Berliner Philharmonikern verbindet Fischer eine Künstlerfreundschaft und regelmäßige Zusammenarbeit.
Als Operndirigent trat Fischer 1989–91 mit einem Mozart-Zyklus an der Wiener Staatsoper in Erscheinung. Außerdem leitete er Opernproduktionen in Zürich, London, Paris, Brüssel, Stockholm und Budapest. 2018 gründete Fischer ein neues Opernfestival im italienischen Vicenza.[7]
Weitere Positionen:
- 1979–82 Musikalischer Direktor der Royal Northern Sinfonia
- 1984–89 Musikalischer Direktor der Kent Opera
- 1989–96 Erster Gastdirigent des Cincinnati Symphony Orchestra
- 2000–03 Chefdirigent der Oper Lyon
- 2006–09 Erster Gastdirigent beim National Symphony Orchestra in Washington, D.C.
2011 war Iván Fischer Künstler der »Zeitinsel«-Konzertreihe Béla Bartók am Konzerthaus Dortmund, 2014 Künstler der »Zeitinsel«-Konzertreihe Antonín Dvořák.
Weitere musikalische Aktivitäten, humanitäres Engagement |
Fischer gründete zusammen mit der Enkelin des Komponisten die ungarische Gustav-Mahler-Gesellschaft und ist Schirmherr der englischen Kodály-Akademie.
Beim Schleswig-Holstein Musik Festival 2007 – das in diesem Jahr unter dem Länderschwerpunkt Ungarn stand – studierte er mit der Orchesterakademie Beethovens 6. Sinfonie und die Musik zu Béla Bartóks Tanzpantomime Der holzgeschnitzte Prinz ein.[8] Zusätzlich gastierte Fischer mit dem Budapest Festival Orchester und gab zusammen mit den Geigern József Lendvay und dessen Vater József „Csócsi“ Lendvay, sowie dem Zymbalspieler Oszkár Ökrös einen Einblick in die Einflüsse der Musik der Roma auf symphonische Werke. Neben Liszt und Brahms stand auch Sarasate auf dem Programm.
Seit 2014 spielt Fischer mit Musikern des Budapest Festival Orchester regelmäßig in ungarischen Synagogen – verlassenen wie noch benutzten – um das Bewusstsein für jüdisches Leben und Traditionen in Ungarn aufrecht zu erhalten.[9] 2016 musizierten Fischer, das BFO, und der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim in der Großen Synagoge an der Dohány Straße in Budapest.
In jüngerer Zeit tritt Fischer häufiger als Komponist in Erscheinung. Seine Werke sind meist für mittelgroße Ensembles aus Vokalisten und Instrumentalisten geschrieben. Die Texte sind überwiegend auf Jiddisch um, so Fischer, die Sprache am Leben zu erhalten.[10] U. a. komponierte Fischer die Oper „die rote Färse“ [11] und eine deutsch-jiddische Kantate.[12]
Über seine musikalischen Leistungen hinaus erlangte Fischer Bekanntheit für sein humanitäres Engagement – u. a. für Flüchtlinge –[13] das ihn wiederholt in Opposition zur Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán brachte.[14][15] Außer ungarisch spricht Fischer fließend deutsch, niederländisch, und englisch.
Auszeichnungen |
- 1976: 1. Preis beim Dirigentenwettbewerb der Rupert Foundation in London
- Crystal Award des Weltwirtschaftsforums in Davos
- Chevalier dans l’Ordre des Arts et des Lettres vom französischen Kultusministerium
- Goldmedaille des ungarischen Staatspräsidenten
- 2005: Ehrenbürger von Budapest
- 2006: Kossuth-Preis von Ungarn[16]
Diskografie |
Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit:
veröffentlicht | Stücke | Mitwirkende | Plattenfirma/Nr. | Typ |
---|---|---|---|---|
1984 |
|
| Hungaroton HCD 12528 | CD |
1984 | Schubert, Symphony no. 9 |
| Hungaroton HCD 12722 | CD |
1985 | Brahms: Hungarian Dances |
| Hungaroton HCD 12571 | CD |
1985 | Brahms: Violin Concerto in D Major |
| London 411677 | CD |
1985 | Mendelssohn: Symphony no. 3 |
| Hungaroton HCD 12660 | CD |
1987 | Schubert
|
| Hungaraton HCD 12842 | CD |
1990 | Bartók:
|
| Hungaroton HCD 31167 | CD |
1990 | Richard Strauss
|
| Hungaroton HCD 12899 | CD |
1990 | Stravinsky
|
| Hungaroton HCD 31095 | CD |
1994 | Schubert: Symphonies nos. 3 & 8 |
| Hungaroton HCD 12616 | CD |
1994 |
|
| Hungaroton HCD 12868 | CD |
1994 | Kodály
|
| Hungaroton HCD 31324 | CD |
1995 | Mendelssohn
|
| Hungaroton HCD 12414 | CD |
1995 | Mozart
|
| Hungaroton HCD 12235 | CD |
1995 | Mozart: Symphonies in E-flat Major
|
| Hungaraton HCD 31093 | CD |
1995 | Bartók: Violin Concertos nos. 1 & 2 |
| Berlin Classics BC 0011342 | CD |
1996 |
|
| Hungarton-Philips HCD 31362 | |
1996 | Donizetti: Don Pasquale |
| Hungarton HCD 12416-17 | 2 CDs |
1997 | Bartók: Piano Concertos nos. 1–3 |
| Teldec 0630131582 | CD |
1997 | Liszt: Faust Symphony |
| Philips 002894544602 | CD |
1997 | Bartók
|
| Philips 002894544292 | CD |
1998 | Bartók
|
| Philips 0028945443027 | CD |
1998 | Liszt: Hungarian Rhapsodies |
| Philips 0028945657028 | CD |
1999 | Bartók
|
| Philips 028945657523 | CD |
1999 | Brahms: Hungarian Dances |
| Philips 0028946258927 | CD |
2000 | Dvořák
|
| Philips 028946464724 | CD |
2001 |
|
| Philips 0028946453124 | CD |
2001 |
|
| Hungaroton HCD 32038 | CD |
2002 | Dvořák
|
| Philips 0028947060123 | Hybrid-SACD |
2002 | Bartók: The Piano Concertos |
| Warner Classics | CD |
2002 | Dvořák
|
| Philips 0028947061724 | Hybrid-SACD |
2003 | Bartók: Bluebeard’s Castle |
| Philips 028947063322 | Hybrid-SACD |
2004 | Rachmaninov
|
| Channel Classics 21604 | Hybrid-SACD |
2004 | Tchaikovsky
|
| Channel Classics 21704 | Hybrid-SACD |
2005 | Mahler: Symphony no. 6 |
| Channel Classics 22905 | Hybrid-SACD |
2006 | Bartók: Orchestral Works |
| Philips 028947576846 | 3 CDs |
2006 | Mahler: Symphony no. 2 |
| Channel Classics 23506 | Hybrid-SACD, 2-CDs |
2006 |
|
| Philips 028947573012 | 4 CDs |
2010 | Beethoven: Symphonien 4 & 6 |
| Channel 2461447 | 1 SACD |
2012 | Mahler: Symphonie Nr. 1 D-dur |
| Channel Classics CCS33112 | 2 SACD |
2012 | Stravinsky: Sacre du Printemps, Feuervogel, Tango/Scherzo |
| Channel Classics CCS32112 | 1 SACD |
2012 | Bach: Matthäus-Passion |
| Arthaus Musik (Naxos Deutschland GmbH) | 2 Blu-ray DVD |
2012 | Brahms, Dvořák: Ungarische Tänze/Slawische Tänze |
| Decca Classics 478 40228 | CD |
Weblinks |
Literatur von und über Iván Fischer im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Iván Fischer in der Internet Movie Database (englisch)
Biografie auf der Homepage des Budapest Festival Orchestra (englisch)
Biografie medici.tv (englisch)
Interview mit KlassikInfo (2009)
Interview mit dem Klassikportal Classicpoint (2016)
Fotos des Fotografen Klaus Rudolph
Einzelnachweise |
↑ Iván Fischer and Ádám Fischer. In: Bálint András Varga: From Boulanger to Stockhausen: Interviews and a Memoir. University of Rochester Press, Rochester NY 2013, ISBN 978-1-58046-439-0, S. 107–115 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑ Iván Fischer: Mahler’s beauty always hurts In: Limelight, 24. August 2017.
↑ FAZ.net 6. Dezember 2015 / Eleonore Büning: Auch ein Gottesnarr kann nicht übers Wasser gehen
↑ gramophone.co.uk : The World’s Greatest Orchestras
↑ Ungarischer Wind in Berlin In: Zeit Online, 22. Februar 2011
↑ Iván Fischer hört 2018 beim Konzerthausorchester auf. In: Berliner Morgenpost, 18. Oktober 2016
↑ Dirigent Iván Fischer startet neuartiges Opernfestival in Vicenza In: Hannoversche Allgemeine, 12. April 2018
↑ Programmheft des Schleswig-Holstein Musik Festivals vom 28./29. Juli 2007, Iván Fischer als Dirigent des Schleswig-Holstein Festival-Orchesters.
↑ Concert Serie Synagogue Concerts. In: BFZ.hu
↑ Interivew: Iván Fischer In: The Jewish Chronicle, 18. Januar 2011
↑ Wie der Komponist Iván Fischer eine Falschaussage untersucht. In: Berliner Morgenpost, 27. Juni 2014
↑ Deutsche-Jiddische Kantate. Youtube Channel Iván Fischer, 15. Mai 2013
↑ Konzert für Flüchtlinge in Berlin: 'Willkommen in unserer Mitte'. In: Deutsche Welle (dw.com), 1. März 2014.
↑ Alex Ross: Notes of Dissent: in Hungary, Iván Fischer is Shaking up Music and Politics. In: New Yorker Magazine, 2. Juni 2014.
↑ 'Ungarns Kunst ist immer noch farbig und blüht'. In: Deutschlandfunk.de, 9. April 2018.
↑ Bericht von Playbill Arts
Personendaten | |
---|---|
NAME | Fischer, Iván |
KURZBESCHREIBUNG | ungarischer Dirigent |
GEBURTSDATUM | 20. Januar 1951 |
GEBURTSORT | Budapest |