Sulfonamide










Allgemeine Struktur des para-Amino-benzolsulfonamids. R ist ein Organylrest (Alkyl-, Arylgruppe etc.) oder ein Wasserstoffatom.


Sulfonamide (chemisch genauer Sulfanilamide) sind eine Gruppe synthetischer chemischer Verbindungen, die aufgrund ihrer antimikrobiellen Wirkung als Antibiotika eingesetzt werden. Ihre Wirkung beruht darauf, dass sie die Bakterien an der Herstellung von Folsäure hindern, die für die Herstellung von Nukleotiden, den Grundbausteinen der Erbsubstanz, nötig ist. Bakterien werden dadurch nicht direkt getötet, sondern an der Vermehrung gehindert, da sie ihre Erbinformation nicht kopieren können. Strukturell handelt es sich bei den Sulfonamiden um Abkömmlinge des 4-Aminobenzolsulfonsäureamids; sie gehören damit zur großen Gruppe der Sulfonsäureamide, die durch die Gruppe –SO2NHR– charakterisiert ist.


Mit den Sulfonamiden strukturell verwandte Substanzen sind die Sulfonylharnstoffe, die als orale Antidiabetika verwendet werden, und die Thiaziddiuretika.


Die Wirkung der Sulfonamide als antimikrobielle Agenzien zur Behandlung von Infektionskrankheiten beruht darauf, dass sie als Antimetabolite der p-Aminobenzoesäure (PABA) wirken. Sie hemmen kompetitiv die Dihydropteroat-Synthase des Stoffwechselweges der Folsäure-Synthese von Bakterien, welche die Dihydropteroinsäure-Bildung katalysiert. Eukaryotische (und damit auch menschliche) Zellen werden hiervon nicht beeinträchtigt, da diese keine Folsäure erzeugen. Die Wirksamkeit beruht auch auf der strukturellen Ähnlichkeit der Sulfonamide mit Carbonsäureamiden, wobei deren Carbonylgruppe durch eine Sulfonylgruppe ersetzt ist; sie sind also Analoga von Amiden. Typische Vertreter sind Sulfamethoxazol, das länger wirksame Sulfadoxin, das Sulfacarbamid mit kürzerer Wirkdauer oder Sulfasalazin, das im Darm nicht aufgenommen wird.
Sulfanilsäure selbst hat keinen nennenswerten Effekt gegen Bakterien, da sie die Membran der Mikroorganismen wegen ihrer hohen Polarität kaum durchdringen kann.[1]




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Herstellung


  • 2 Geschichte


    • 2.1 Entwicklung synthetischer Antibiotika


    • 2.2 Versuche zur Zeit des Nationalsozialismus




  • 3 Tabelle Sulfonamide


  • 4 Eigenschaften


  • 5 Anwendung


  • 6 Rechtliche Bestimmungen


  • 7 Wechselwirkungen


  • 8 Nebenwirkungen


  • 9 Anmerkungen


  • 10 Einzelnachweise





Herstellung |


Für die Herstellung der Sulfonamide sind unterschiedliche Synthesen entwickelt worden. Entscheidend für die gewählte Art der Synthese ist die Verfügbarkeit der Ausgangschemikalien und ein einfacher und problemloser Verlauf der Zwischenschritte. Nachfolgend sind als Beispiel für die Herstellung von Sulfonamiden zwei mögliche Synthesen für Sulfapyridin dargestellt.


  • Kondensation von p-Acetamino-benzol-sulfochlorid mit einem Amin und anschließende Hydrolyse der Acetylgruppe:[2]

Synthese von Sulfapyridin über Hydrolyse

oder als zweite Möglichkeit:



  • Kondensation von p-Nitrobenzolsulfonsäurechlorid mit einem Amin und anschließende Reduktion der Nitrogruppe:[3]

Synthese von Sulfapyridin über Reduktion


Geschichte |



Entwicklung synthetischer Antibiotika |


Mit der wissenschaftlichen Erforschung und der Synthese von organischen Verbindungen im 19. Jahrhundert begann auch die Suche nach Verbindungen mit antibakteriellen Eigenschaften. Paul Ehrlich gehörte zu den ersten Chemikern, die systematisch chemische Verbindungen auf ihre Wirkung auf Bakterien untersuchten. Ehrlichs Arbeitsschwerpunkt lag dabei auf Azofarbstoffen und ähnlichen Verbindungen. Nach Untersuchungen mit dem Azofarbstoff Trypanrot und der arsenhaltigen Verbindung Atoxyl vermutete er, dass Strukturen mit Azogruppen (-N=N-) wie auch arsenorganische Verbindungen (-As=As-) besonders geeignet seien.[4] In seinem Labor wurden deshalb viele neue arsenhaltige Verbindungen synthetisiert und überprüft.


Für das 1909 in seinem Labor entwickelte Salvarsan konnte Ehrlich zusammen mit dem japanischen Bakteriologen Sahachiro Hata bis 1910,[5] die antibakterielle Wirkung gegenüber Spirochäten und Trypanosomen nachweisen. Mit Salvarsan war erstmals eine ursächliche Behandlung und Heilung der Syphilis bei vertretbaren toxischen Nebenwirkungen möglich. Das in Deutschland entwickelte Salvarsan wurde patentiert und als einer der ersten vollsynthetischen Arzneistoffe bekannt. Das Patent wurde im Ersten Weltkrieg von den USA beschlagnahmt und die Verbindung unter dem Namen Arsphenamin weiter verwendet.[6]


Bereits 1908[2] hatte Paul Gelmo mit Sulfanilamid den ersten Vertreter aus der Stoffgruppe der Sulfonamide entwickelt. Heinrich Hörlein, der Sulfonamide mit Azostruktur (-N=N-) bereits als Textilfarbstoffe verwendet hatte,[7] war die treibende Kraft hinter einem Forschungsprogramm der I. G. Farben zur systematischen Entwicklung von antibakteriell wirksamen Verbindungen aus der Gruppe der Farbstoffe aus der Steinkohlenteer-Chemie nach dem Vorbild von Ehrlichs Salvarsan. 1932 synthetisierten die Chemiker Fritz Mietzsch und Josef Klarer innerhalb dieses Programms ein Sulfonamid, das später unter dem Markennamen Prontosil bekannt wurde. Dessen antibakterielle Wirkung wurde bei der Untersuchung der Daten von Mietzsch und Klarer von Gerhard Domagk entdeckt, der für die I.G. Farben im Bayer-Stammwerk in Wuppertal (Elberfeld) an Azofarbstoffen forschte. Außerhalb des lebenden Organismus (in vitro) zeigte sich das zunächst als Kl 730 und Streptozon[8] bezeichnete Prontosil weitgehend unwirksam, wirksam war es nur in vivo. Insbesondere der Nachweis der Wirkung im Tiermodell war das Verdienst von Domagk, der seine an einer Sepsis erkrankte vierjährige Tochter im Dezember 1933 erfolgreich mit dem neuen Arzneimittel behandelte.[9]


Im Februar 1935[10] veröffentlichte Domagk seine Untersuchungen über die medizinische Wirksamkeit von Prontosil. 1939 wurde Domagk für sein Werk der Nobelpreis verliehen, den er jedoch wegen der Gesetze zur Zeit des Nationalsozialismus nicht annehmen durfte.[11]


Der Wirkungsmechanismus von Prontosil wurde 1935[2] von Jacques Tréfouël, Thérèse Tréfouël, Federico Nitti und Daniel Bovet im Laboratorium von Ernest Fourneau aufgeklärt:[12]Prontosil wird erst im Organismus zur pharmakologisch wirksamen Form, dem Sulfanilamid, verstoffwechselt, was seine Wirkungslosigkeit in vitro erklärt.


Mit den Sulfonamiden waren die ersten Breitspektrumantibiotika verfügbar, die in der Medizin mit Erfolg verwendet wurden. Erst später im Zweiten Weltkrieg ab 1940[13] wurde von Florey und Dunn das Penicillin ebenfalls in die medizinische Therapie eingeführt.[Anm. 1]


Bis Ende der 1930er-Jahre wurden über 1000[2] sulfonamidische Verbindungen synthetisiert. Allerdings sind davon nur wenige pharmakologisch wirksam. Alle bisher geprüften kernsubstituierten Derivate des Sulfanilamids sind völlig unwirksam.[2] Besonders wirksam sind hingegen Verbindungen, die die Struktur:


SO2NHCR=N−{displaystyle mathrm {-SO_{2}NHCR{=}N-} }


enthalten.[2]


Verbreitete Anwendung fanden die Sulfonamide (in Klammern Angabe des Einführungsjahres) Sulfapyridin (1938), Sulfathiazol (1940), Sulfaguanidin (1940), Sulfadiazin (1941), Phthalylsulfathiazol (1942) sowie Mono- und Dimethyl-Derivate des Sulfathiazins (1943).[3]


Das erste Medikament mit einem Sulfonamid-Wirkstoff war Prontosil (Sulfamidochrysoidin). Sieht man von Prontosil ab, so sind die meisten Sulfonamide sowohl in vitro als auch in vivo wirksam.[14] Der antibakterielle Wirkmechanismus der Sulfonamide als Antimetabolite wurde 1940 von Donald D. Woods und Paul Fildes aufgeklärt.


Im Laufe der verbreiteten Anwendung der Sulfonamide in der antimikrobiellen Therapie entdeckte man bei einigen Vertretern weitere Wirkungen, was die Entwicklung weiterer Wirkstoffklassen begründete. So führte in den 1940er Jahren die Entdeckung der harntreibenden (diuretischen) Wirkung insbesondere des Sulfonamids Sulfanilamid zur Entwicklung der neuen Wirkstoffgruppe der „Thiaziddiuretika“. Bekannt wurde auch das namentlich die Harnflut anregende Präparat Haflutan (6-Chlor-Benzol-1,3-disulfonamid). Wegen seiner blutzuckersenkenden Wirkung kam 1956 als erster Vertreter der in der antidiabetischen Therapie eingesetzten „Sulfonylharnstoffe“ das Sulfonamid Carbutamid auf den Markt.[15]


Penicillin und die diversen weiteren Verbindungen dieses Typs haben inzwischen weitgehend die Sulfonamide bei der medizinischen Verwendung abgelöst, da sie bei geringerer Dosierung sicherer wirken.[16]
Zu den wenigen im Bereich der Medizin für Menschen auch in heutiger Zeit[17] noch verwendeten Sulfonamiden gehören die Verbindungen Sulfamethoxazol, Silbersulfadiazin und Sulfamerazin. In der Tiermedizin, besonders für die Behandlung von Erkrankungen durch Parasitenbefall, werden dagegen noch vielfach Kombinationspräparate mit Sulfonamiden verwendet.



Versuche zur Zeit des Nationalsozialismus |


Zur Zeit des Nationalsozialismus fanden medizinische Experimente an KZ-Häftlingen in den Lagern KZ Ravensbrück und KZ Dachau statt. Hintergrund war, dass Reinhard Heydrich an Sepsis starb, während er unter der Aufsicht von Himmlers Leibarzt Karl Gebhardt stand. Hitlers Leibarzt Morell hatte kritisiert, Heydrich hätte möglicherweise überlebt, hätte man das Sulfonamid Ultraseptyl eingesetzt. Bei Heydrich wurden aber andere Sulfonamide verabreicht, Gebhardt kam in Bedrängnis und veranlasste die Experimente. KZ-Häftlingen wurden Verletzungen beigefügt und Wunden infiziert, um eine Sepsis zu erreichen und die Wirkweise verschiedener Sulfonamide testen zu können.[18] Gebhardt wurde unter anderem für diese Versuche im Nürnberger Ärzteprozess zum Tode verurteilt.



Tabelle Sulfonamide |


Die nachfolgende Tabelle zeigt einen Überblick über die ersten einfacheren Verbindungen und die noch heute aktuellen Sulfonamide. Man rechnet auch Mafenid den Sulfonamiden zu, obwohl es keine Sulfanilamid-Struktur aufweist. Darüber hinaus werden aber auch noch weitere hier nicht aufgelistete Vertreter dieser Wirkstoffklasse in der Medizin verwendet. Als Antibiotika werden überwiegend Gemische aus 2 oder mehreren Sulfonamiden oder auch anderen Wirksubstanzen eingesetzt. Von fast allen einzelnen Verbindungen sind für die Namen sehr viele Synonyme – zum Teil weit über 20 – gebräuchlich.



























































































































































































































































Struktur
INN-Name

CAS-Nr.
PubChem
Summenformel
IUPAC-Name
Verwendung[19]

Sulfanilamid

Sulfanilamid
63-74-1
5333
C6H8N2O2S 4-Aminobenzol-sulfonamid Grundbaustein der Sulfonamide

Sulfathioharnstoff

Sulfathioharnstoff
515-49-1
3000579
C7H9N3O2S2
4-Aminophenyl-sulfonylthioharnstoff kaum noch verwendet

Sulfacarbamid

Sulfacarbamid
547-44-4
11033
C7H9N3O3S2
1-(4-Aminobenzensulfonyl)harnstoff in der Humanmedizin

Mafenid

Mafenid
138-39-6
3998
C7H10N2O2S 4-(Aminomethyl)benzolsulfonamid in der Tiermedizin und Humanmedizin (Verbrennungen)

Sulfaguanidin

Sulfaguanidin
57-67-0
5324
C7H10N4O2S 4-Amino-N-(diaminomethylen)benzolsulfonamid in der Tiermedizin (selten angewendet)

Sulfacetamid

Sulfacetamid
144-80-9
5320
C8H10N2O3S
N-(p-aminophenyl-sulfonyl)acetamid
in der Humanmedizin (Augen)

Sulfathiazol

Sulfathiazol
72-14-0
5340
C9H9N3O2S2
4-Amino-N-(1,3-thiazol-2yl)benzolsulfonamid in der Tiermedizin

Sulfamethizol

Sulfamethizol
144-82-1
5328
C9H10N4O2S2
4-Amino-N-(5-methyl-1,3,4-thiadiazol-2yl)benzolsulfonamid in der Tiermedizin

Sulfametrol

Sulfametrol
32909-92-5
64939
C9H10N4O3S2
4-Amino-N-(4-methoxy-1,2,5-thiadiazol-3yl)benzolsulfonamid in Humanmedizin[20]

Sulfamethylthiazol

Sulfamethylthiazol
515-59-3
5328
C10H11N3O2S2
4-Amino-N-(4-methyl-1,3-Thiazol-2yl)benzolsulfonamid in der Humanmedizin

Sulfachlorpyridazin

Sulfachlorpyridazin
80-32-0
6634
C10H9ClN4O2S 4-Amino-N-(6-chloro-3-pyridazinyl)benzolsulfonamid in der Tiermedizin

Sulfachlorpyrazin

Sulfachlorpyrazin
1672-91-9
164867
C10H9ClN4O2S 4-Amino-N-(6-chloropyrazin-2yl)benzolsulfonamid in der Tiermedizin für Geflügel

Sulfadiazin

Sulfadiazin
68-35-9
5215
C10H10N4O2S 4-Amino-N-(2-pyrimidinyl)benzolsulfonamid
in der Human- (Haut) und Tiermedizin

Sulfamethoxazol

Sulfamethoxazol
723-46-6
5329
C10H11N3O3S 4-Amino-N-(5-methyl-3-isoxazolyl)benzolsulfonamid
in der Human- und Tiermedizin

Sulfapyridin

Sulfapyridin
144-83-2
5336
C11H11N3O2S 4-Amino-N-pyridin-2-yl-benzolsulfonamid
in der Humanmedizin (Haut)

Sulfamerazin

Sulfamerazin
127-79-7
5325
C11H12N4O2S 4-Amino-N-(4-methyl-2-pyrinidinyl)benzolsulfonamid
in der Tiermedizin[21]

Sulfaperin

Sulfaperin
599-88-2
68933
C11H12N4O2S 4-Amino-N-(5-methylpyrimidinyl)benzolsulfonamid
nicht mehr angewendet

Sulfamethoxypyridazin

Sulfamethoxypyridazin
80-35-3
5330
C11H12N4O3S 4-Amino-N-(6-methoxypyridazin-3yl)benzolsulfonamid
in der Tiermedizin

Sulfamethoxydiazin

Sulfamethoxydiazin
651-06-9
5326
C11H12N4O3S 4-Amino-N-(5-methoxy-2-pyrimidinyl)benzolsulfonamid
in der Humanmedizin

Sulfalen

Sulfalen
152-47-6
9047
C11H12N4O3S 4-Amino-N-(3-methoxy-2-pyrazinyl)benzolsulfonamid
in der Tier- und Humanmedizin

Sulfamoxol

Sulfamoxol
729-99-7
12894
C11H13N3O3S 4-Amino-N-(4,5-dimethyl-1,3-oxazol-2yl)benzolsulfonamid
in der Humanmedizin[22]

Sulfafurazol

Sulfafurazol
127-69-5
5344
C11H13N3O3S 4-Amino-N-(3,4-dimethyl-5-isoaxazolyl)benzolsulfonamid
in der Humanmedizin[23]

Sulfadicramid

Sulfadicramid
115-68-4
8281
C11H14N2O3S
N-(3,3-dimethylacroyl)sulfanilamid
in der Humanmedizin (kaum noch verwendet)

Sulfadimidin

Sulfadimidin
57-68-1
5327
C12H14N4O2S 4-Amino-N-(4,6-dimethyl-2-pyrimidinyl)benzolsulfonamid in der Tiermedizin

Sulfasomidin

Sulfasomidin
515-64-0
5343
C12H14N4O2S 4-Amino-N-(2,6-dimethyl-2-pyrimidin-4yl)benzolsulfonamid
in der Humanmedizin[24]

Sulfametomidin

Sulfametomidin
3772-76-7
19596
C12H14N4O3S 4-Amino-N-(6-methoxy-2-methylpyrimidin-4yl)benzolsulfonamid
in der Humanmedizin

Sulfadimethoxin

Sulfadimethoxin
122-11-2
5323
C12H14N4O4S 4-Amino-N-(2,6-dimethoxy-4-pyrimidinyl)benzolsulfonamid
in der Tiermedizin

Sulfadoxin

Sulfadoxin
2447-57-6
17134
C12H14N4O4S 4-Amino-N-(5,6-dimethoxy-4-pyrimidinyl)benzolsulfonamid in der Tiermedizin

Sulfaphenazol

Sulfaphenazol
526-08-9
5335
C15H14N4O2S 4-Amino-N-(2-phenylpyrazol-3yl)benzolsulfonamid
in der Tiermedizin

Sulfasalazin

Sulfasalazin
599-79-1
5359476
C18H14N4O5S 2-Hydroxy-5-((2-((pyridinyl)sulfonyl)phenyl)azo)benzoesäure
in der Human- und Tiermedizin


Eigenschaften |


Sulfonamide wirken bakteriostatisch. Werden sie einzeln eingesetzt, bilden sich schnell Resistenzen. Daher kombiniert man sie bevorzugt mit Dihydrofolsäurereduktase-Hemmern wie Trimethoprim (Cotrimoxazol s. u.). Sulfonamide sind relativ hydrophil, können oral (z. B. als Tablette) gegeben werden und werden mit unterschiedlichen Halbwertszeiten überwiegend über die Nieren ausgeschieden. Den Prozess der Sezernierung in den Nierentubuli teilen sie mit einigen anderen Säuren, die sich dann gegenseitig in ihrer Ausscheidung behindern: Harnsäure, Urikosurika und Urikostatika, Acetylsalicylsäure, Thiaziddiuretika, Penicillin und Makrolide. Der Ausscheidungsweg hat außerdem zur Folge, dass sie sich im harnableitenden System anreichern, was auch ihren wesentlichen Anwendungsbereich darstellt.



Anwendung |


Sulfonamide wirken gegen Darmbakterien, zum Beispiel Escherichia coli, Pseudomonas, Salmonella, Shigella. Sie wirken außerdem gegen Staphylococcus, Streptococcus, Neisseria, Pneumocystis jirovecii, Toxoplasma gondii, Neospora caninum und Plasmodien. Sie werden hauptsächlich als Cotrimoxazol gegen unkomplizierte Harnwegsinfektionen eingesetzt und gegen Pneumonie durch Pneumocystis jirovecii (früher: P. carinii), hier als einziges Medikament. Ferner werden sie in diversen Kombinationen gegen therapiebedürftige Toxoplasmose oder Malaria eingesetzt. Gegen Bacteroides, Enterococcus,[25]Mykoplasmen, Pilze, Pseudomonas aeruginosa, die meisten Protozoen, Rickettsien und Viren sind Sulfonamide allerdings wirkungslos.[26]


In der Veterinärmedizin sind Sulfonamide gängige Antibiotika, die bei Atemwegs-, Magen-Darm- und Harnwegserkrankungen eingesetzt werden. Des Weiteren sind sie oft Mittel der Wahl bei der Behandlung von Nagetieren, da diese im Allgemeinen eine breite Unverträglichkeit auf Antibiotika (insbesondere Penicillin) aufweisen. Im Geflügelbereich waren Sulfonamide über lange Zeit das Mittel zur Bekämpfung von Kokzidien.


Sulfonamide werden meist in Kombination mit Diaminopyrimidinen eingesetzt. Eine fixe Kombination der Stoffe Sulfamethoxazol plus Trimethoprim im Verhältnis 5 zu 1 heißt Cotrimoxazol. Die Kombination soll der Entstehung von Antibiotikaresistenzen vorbeugen, außerdem potenziert sich die Wirkstärke von Antibiotika, die den gleichen Stoffwechselweg an unterschiedlicher Stelle blockieren. Für die Monotherapie wird in Deutschland nur noch Sulfadiazin eingesetzt zur Behandlung der akuten und rezidivierenden Toxoplasmose.



Rechtliche Bestimmungen |


Die Gruppe der Sulfonamide ist in der Tabelle 1 der Verordnung (EU) Nr. 37/2010 über pharmakologisch wirksame Stoffe und ihre Einstufung hinsichtlich der Rückstandshöchstmengen in Lebensmitteln tierischen Ursprungs zusammengefasst und darf als solche nur in bestimmten Höchstmengen in verschiedenen tierischen Lebensmitteln vorkommen.[27] In der nachfolgenden Tabelle sind die rechtlichen Vorgaben zusammengefasst.






























Abschnitt über Sulfonamide aus der Tabelle 1 des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 37/2010
Pharmakologisch wirksame(r) Stoff(e)
Markerrückstand
Tierart(en)
Rückstandshöchstmeng(en)
Zielgewebe
Sonstige Vorschriften (gemäß Artikel 14 Absatz 7 der Verordnung (EG) Nr. 470/2009)
Therapeutische Einstufung
Sulfonamide (alle Stoffe der Sulfonamidgruppe)
Muttersubstanz
Alle zur Lebensmittel-erzeugung genutzten Arten
100 µg/kg
Muskel

Fett


Leber


Nieren


Die Rückstände aller Stoffe der Sulfonamidgruppe dürfen insgesamt 100 µg/kg nicht überschreiten.

Für Fisch betrifft der Muskel-Rückstandshöchstmengenwert "Muskel und Haut in natürlichen Verhältnissen".


Die Rückstandshöchstmengen-werte für Fett, Leber und Nieren gelten nicht für Fisch.


Nicht zur Anwendung bei Tieren, deren Eier für den menschlichen Verzehr bestimmt sind.


Mittel gegen Infektionen/Chemo-therapeutika
Rinder, Schafe, Ziegen
100 µg/kg
Milch


Wechselwirkungen |


Bei gleichzeitiger Verabreichung von Lokalanästhetika aus der Gruppe der para-Aminobenzoesäureester (zum Beispiel Procain oder Tetracain) kommt es zu einem Antagonismus, da diese die Wirkung von Sulfonamiden aufheben. Weiterhin kommt es zu unerwünschten Wechselwirkungen mit Urotropin und zum Teil auch mit Phenylbutazon.



Nebenwirkungen |


Sulfonamide sind nicht für die Schwangerschaft zugelassen, vor allem nicht um den Geburtstermin herum, da sie beim Neugeborenen eine gefährliche Hyperbilirubinämie verursachen können. Zum anderen können Allergien bestehen, vor allem auf der Haut – hier können Sulfonamide auch eine starke Phototoxizität auslösen. Selten kommen Blutbildveränderungen oder hepatische Cholestase vor, wie bei den Sulfonylharnstoffen. Bei Patienten mit erblichen Methämoglobinämien „führt eine Medikation mit Sulfonamiden zu schweren hämolytischen Krisen.“[28]


Außerdem wird die Kammerwasserbildung gehemmt, da Sulfonamide die Wirkung der Carboanhydrase hemmen. Dies führt zu einer effektiven Senkung des Augendrucks. Augentropfen mit modifizierten Sulfonamiden werden deswegen heute als Mittel der ersten Wahl bei der Behandlung des Glaukoms verwendet.



Anmerkungen |




  1. L. F. Fieser, M. Fieser: In: Lehrbuch der organischen Chemie. 3.Auflage. Verlag Chemie, Weinheim a. d. Bergstraße 1957, S. 1196. wird nicht Dunn, sondern Chain als 2. Forscher angeführt.



Einzelnachweise |




  1. S. Y. Hwang, D. A. Berges, J. J. Taggart, C. Gilvarg: Portage transport of sulfanilamide and sulfanilic acid. In: Journal of medicinal chemistry. Band 32, Nummer 3, März 1989, S. 694–698, PMID 2645404.


  2. abcdef L. F. Fieser, M. Fieser: In: Lehrbuch der organischen Chemie, 3.Auflage. Verlag Chemie, Weinheim a. d. Bergstraße 1957, S. 1191.


  3. ab L. F. Fieser, M. Fieser In: Lehrbuch der organischen Chemie. 3.Auflage. Verlag Chemie, Weinheim a. d. Bergstraße 1957, S. 1193.


  4. L. F. Fieser, M. Fieser In: Lehrbuch der organischen Chemie. 3.Auflage. Verlag Chemie, Weinheim a. d. Bergstraße 1957, S. 1182.


  5. Brockhaus der Naturwissenschaften und der Technik. 4. Auflage. Brockhaus, Wiesbaden 1958, S. 480.


  6. L. F. Fieser, M. Fieser: In: Lehrbuch der organischen Chemie. 3. Auflage. Verlag Chemie, Weinheim a. d. Bergstraße 1957, S. 1183.


  7. Brockhaus der Naturwissenschaften und der Technik. 4. Auflage. Brockhaus, Wiesbaden 1958, S. 553.


  8. Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Sulfonamide. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1367.


  9. W-Dieter Müller-Jahncke: Sulfonamide. 2005, S. 1367.


  10. Domagk Beitrag zur Chemotherapie der bakteriellen Infektionen, Deutsch. Med. Wochenschrift, Band 61, 15. Februar 1935, S. 250–253, Domagk Chemotherapie der bakteriellen Infektionen, Angewandte Chemie, Band 46, 1935, S. 657–667.


  11. Zur Geschichte der Sulfonamide auch John Lesch The miracle drugs, Oxford University Press 2006


  12. J. und Th. Tréfouël, F. Nitti und D. Bovet, « Activité du p.aminophénylsulfamide sur l’infection streptococcique expérimentale de la souris et du lapin », C. R. Soc. Biol., 120, 23. November 1935, S. 756.


  13. Brockhaus der Naturwissenschaften und der Technik; 4. Auflage. Brockhaus, Wiesbaden 1958, S. 411.


  14. L. F. Fieser, M. Fieser: Lehrbuch der organischen Chemie. 3.Auflage. Verlag Chemie, Weinheim a. d. Bergstraße 1957, S. 1194.


  15. H. Auterhoff: Lehrbuch der Pharmazeutischen Chemie, WVG 1978, 472 ff.


  16. Herder Lexikon Chemie. Lizenzausgabe für Bertelsmann Club, Gütersloh, Buch-Nr. 03838 0, S. 232.


  17. Eintrag zu Sulfonamid-Antibiotika im Flexikon, einem Wiki der Firma DocCheck, abgerufen am 25. November 2015. (Punkt 3)


  18. Zámečník: Das war Dachau. Stiftung Comité International de Dachau, Luxemburg 2002, S. 285 ff.


  19. alle Angaben, sofern nichts anderes angegeben, aus der Datenbank CliniPharm


  20. Frank A. Plumer et al.; In: N Engl. J. Med.; 1983, 309, S. 67–71.


  21. Eintrag zu Sulfamerazin bei Vetpharm, abgerufen am 23. Juni 2012.


  22. The Clinical Performance of Sulfamoxole, A New Sulfonamide Analysis of 1240 Case Reports.


  23. MedlinePlus Drug Information: Erythromycin and Sulfisoxazole.


  24. Anderson EA, Knouff EG, Bower AG; In: Calif. Med. 1956 May; 84 (5):329-30.


  25. Junyi Xu & Claudia Gallert & Josef Winter, Appl Microbiol Biotechnol (2007) 74:493–500.


  26. Eintrag zu Sulfonamide. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 25. Juni 2011.


  27. Verordnung (EU) Nr. 37/2010 der Kommission vom 22. Dezember 2009 über pharmakologisch wirksame Stoffe und ihre Einstufung hinsichtlich der Rückstandshöchstmengen in Lebensmitteln tierischen Ursprungs. Abgerufen am 6. Februar 2019.


  28. M. Buchta: Molekulare Grundlagen der Humangenetik. In: M. Buchta, D. W. Höper, A. Sönnichsen: Das Hammerexamen. Repetitorium für den 2. Abschnitt der Ärztlichen Prüfung. 1. Auflage. Elsevier, München 2006, S. 1426.






Gesundheitshinweis
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